Zeitungsartikel – Teil 1

Hier ein paar Einblicke in meine Tätigkeit als Reporter für verschiedene Tageszeitungen

Vor 1989/90

„Erzähle mir, Muse, vom Manne …“ – Aufführung im
Kultur- und Freizeitzentrum Moskauer Platz
„Mann, Mann, Tyrann“ – die Männer wollen doch alle nur dasselbe, und die Frauen,
was wollen die? Sie wollen geliebt werden, wollen in den Arm genommen werden –
egal, von wem.
Von den tausend Listen des Mannes wußte James Joyce’s Molly Bloom zu berichten
(Altbekanntes!), aber auch von den tausend und abertausend Listen (Sehnsüchten)
der Frau (immer praktiziert, aber nie ergründet). Wie Molly mit ihrer „grandiosen
Schamlosigkeit“ (Wolfgang Rothe) sich und damit das ganze weibliche Geschlecht
offenbart, das wurde seinerzeit als perverse Pornographie mißverstanden; und
wiewohl wir doch heute so aufgeklärt sind, kann uns (Männern) das auch heute noch
passieren. Die Frauen sind noch lange nicht befreit, und die Männer spielen immer
noch und immer wieder den ewigen Macho, den nicht nur Molly Bloom so satt hat
und auf dessen Antrag sie dennoch mit „Ja“ geantwortet hat.
Nichts Logisches, nichts Folgerichtiges, aber dennoch etwas höchst Wahres wurde
dem leider nicht gerade zahlreichen Publikum vor einer Woche im Kleinen Saal des
Kultur- und Freizeitzentrums von Künstlern präsentiert, die sich so leicht in keine
Schublade legen lassen. Monika Hildebrand – ist sie eine Chansonette,
Schauspielerin, Jazzmusikerin oder vielleicht alles zusammen? Diese Frage muß
nicht beantwortet werden – sie steht zurück hinter der großartigen Performance der
Hildebrand. „Ichre“ Musiker (Michael Fuchs – Klavier, Volkmar Hoff – Schlagzeug,
Roger Goldberg – Baß/Keyboard) begleiteten sie mit großer Kunst, ohne dabei
jemals in ihrem Schatten zu stehen. Eine perfekte Show (oder eigentlich keine
„show“, sondern eher das Leben selbst auf der Bühne) aus Gesungenem und
Erzähltem, aus Gespieltem im doppeltem Wortsinn. Alle Rätsel der Weiblichkeit, alle
Zwei- und Hinterdeutigkeiten des James Joyce (die durch die Übersetzung aus dem
Englischen eigentlich nur leiden können), alle Macht der Gefühle wie der Musik
konnte erlebt werden – was wird davon bleiben und weiterwirken in unseren
patriarchalischen Alltag hinein?

[Unveröffentlichtes Manuskript aus dem Jahr 1988 für die „Thüringer Neuesten
Nachrichten“, das Presseorgan der NDPD von 1951 bis 1990]

Die letzte Ausstellung der GAF in diesem Jahr:
Skulpturen aus Simbabwe
(m. n.) Was wissen wir als gebildete und wohlsituierte Mitteleuropäer eigentlich von
Afrika? Wir alle kennen die Bilder von Armut, Hunger und Elend. Wie ist es aber mit
den Gedanken und Gefühlen der Menschen dort? Die Galerie am Fischmarkt bietet
allen, die sich für Kultur und Kunst auf dem „schwarzen Kontinent“ interessieren, bis
zum 15. Januar die Chance, mehr darüber zu erfahren: Vor einer Woche wurde hier
die Ausstellung „SHONA-Plastik – Skulpturen aus Simbabwe“ eröffnet.
In einem Pressegespräch informierten der Geschäftsträger der Botschaft Simbabwes
in der DDR, Ngoni Sengwe, und der Leiter der Neuen Berliner Galerie beim Zentrum
für Kunstausstellungen, Hartmann, ausführlich über das Land und die Ausstellung.
Es ist dies nicht die erste Exposition afrikanischer Kunst bei uns, wohl aber die bisher
umfangreichste. Die Nationalgalerie Harare stellte 66 Stein- und zwei
Ebenholzplastiken für diese „travel exhibition“ durch acht sozialistische Länder
zusammen.
Die Kunstwerke wurden allesamt von Angehörigen des Shona-Stammes, der mit 85
Prozent Bevölkerungsanteil größten Sprachgruppe Simbabwes, geschaffen und
beeindrucken durch eine Verbindung von traditioneller und moderner Kunst, wie sie
bei uns überhaupt nicht mehr zu finden ist. Für europäische Begriffe unüblich ist auch
die Herstellung – die Künstler dort haben im allgemeinen kein Atelier in der
Hauptstadt, sondern arbeiten unter teilweise recht primitiven Bedingungen in ihren
Heimatdörfern. Daraus ergeben sich natürlich vielfältige Einflüsse auf die
Ausdrucksformen der nur in den seltensten Fällen mit einer Ausbildung gerüsteten
Künstler. Die von Hand behauenen und geschliffenen Plastiken aus dem
einheimischen Serpentin („Schlangenstein“) vermitteln dem Betrachter Einblicke in
afrikanische Mythologie, Religion und Tierwelt. Hier ist nichts abstrakt oder gar
realitätsfremd – die Aussage einer jeden Skulptur entstammt direkt dem
Lebensgefühl der Menschen. Selbst bei den Tierdarstellungen wird die Natur niemals
nur nachgeahmt, sondern immer läßt sich ein geistiger Gehalt finden. Metaphern,
Allegorien, Symbole – das sind die Stilmittel der Shona-Plastik, und selbst
offensichtlich nicht Animales erhält ein menschliches Antlitz und damit einen Platz in
der Gefühls- und Vorstellungswelt. Es mag für uns mit unserer vorrangig rationalen
Denkweise nicht leicht sein, hier einzudringen – allemal lohnend aber ist der
Versuch, sich durch diese hervorragend konzeptionierte und gestaltete Ausstellung
mit diesem uns fremden und doch freundschaftlich verbundenen Land bekannt zu
machen.

[Veröffentlicht am 28. Dezember 1988 in den „Thüringer Neuesten Nachrichten“, dem
Presseorgan der NDPD von 1951 bis 1990, anläßlich der Ausstellungseröffnung am
20.12.1988]

Mit filigraner Strichführung: Ausstellung mit Werken G.
Schülers in der Galerie „intern“
(P. M. N.) Die Galerie „intern“ befindet sich im Wohnheim der medizinischen
Fachschule in der Rathenaustraße und ist wohl die kleinste unserer Stadt.
Gleichwohl eignet ihr eine interessante Konzeption, bei der Quantität eine sehr
untergeordnete Rolle spielt: Hier sollen die Studenten der Fachschule mit Kunst der
verschiedensten Genres bekannt gemacht und, wo möglich, auch dafür begeistert
werden. Letzteres dürfte nicht allzu schwer sein, wenn man sich weiterhin mit
solchem Enthusiasmus um größtmögliche Wirksamkeit bemüht.
Am Mittwoch nun wurde hier sozusagen ganz intern, d. h. im kleinen Kreise, die
Ausstellung mit Werken von Gottfried Schüler aus Weimar eröffnet. Schüler selbst
meinte dazu: „Diese Ausstellung ist ein Superlativ für mich – es ist die kleinste, die
ich je gemacht habe.“ Fünfzehn Bilder, die n i c h t vorher im Angermuseum zu sehen
waren, hatte Prof. Schüler zur Verfügung gestellt. Mehrheitlich sind es reine
Graphiken in dunklen Tönen mit einer teils großzügigen, teils aber auch wunderbar
filigranen Strichführung. Besonders aufgefallen sind aber die drei großen farbigen, in
Mischtechnik hergestellten Bilder. Sie entstanden unter dem Eindruck eines sonnigen
Herbsttages und sind von einer beeindruckenden Farbigkeit. Abstraktion liegt Schüler nicht – er bevorzugt das Naturstudium. Auch von seiner früheren großflächigen Arbeitsweise bei architekturbezogenen Werken ist er (vorübergehend?) abgekommen und widmet sich jetzt subtileren Ausdrucksformen wie eben der der Graphik. Schülers Werke sind, so sagt er, niemals Illustrationen: Er hält den Bildraum frei von der Darstellung des Menschen und läßt dadurch dem Betrachter Interpretationsfreiheit. Eine leider zu selten gewordene Auffassung, die diese Ausstellung noch interessanter macht. Zusammenfassend darf man wohl sagen, daß es eine schöne Eröffnung war; nicht zuletzt deshalb, weil der Künstler sich bereit erklärt hat, einige seiner Graphiken im Fachschulwohnheim verkaufen zu lassen und den Erlös den Erdbebenopfern in Armenien zu spenden.

[Veröffentlicht am 20. Dezember 1988 in den „Thüringer Neuesten Nachrichten“, dem
Presseorgan der NDPD von 1951 bis 1990]

Höhepunkte vom 1. Jazz-Theater-Projekt
(P. M. N.) Das Schauspielhaus war ausverkauft, und als der Abend 19.15 Uhr endlich
begann, kamen immer noch Besucher. Da das Programm so reichhaltig war, wollen
wir uns hier nur auf die Höhepunkte beschränken. Die Voraufführung von Molières
„Misanthrop“ wurde mit großem Beifall bedacht. Unverkennbar der (teilweise
überbetonte) aktuelle Bezug – das Publikum reagierte entsprechend. Zum Favoriten
avancierte der „Menschenfeind“ persönlich – Matthias Brenners Leistung hob sich
aus der insgesamt sehr guten Besetzung noch heraus. Fragwürdig bleibt, warum der
Thüringer Blumenthal in seiner Rolle bayrische Tracht tragen und dabei schlechten
Wiener Dialekt sprechen muß.
Weiter ging es mit dem in der Tradition von Morgenstern und Ringelnatz stehenden
Programm „Liederquark – eine Mehlspeise für Kinder und solche, die es werden
wollen“, dem Puppenspiel „Rumpelstilz“ und Texten von Wedekind – alles mit viel
Erfolg dargeboten von Erfurter Künstlern.
Musikalischer Höhepunkt war das brillante Zusammenspiel von Axel-Donner- und
Pritz-Quartett. Viel zu selten erlebt man solch spannungsvolle Harmonie von Jazz
und Klassik: sicher eine förderungswürdige Erscheinung unserer Musikszene.
Nachdem viele Besucher schon auf dem Heimweg waren, trat noch die Gruppe
„Prima Klima“ auf, die trotz der unverdienten Kehraus-Funktion mitzureißen verstand.
Leider trübten einige Organisationspannen den Eindruck. Großer Mangel an
Programmzetteln und manch unnötige Verzögerung fielen besonders auf.
Nichtsdestoweniger war es ein schöner Abend, und man darf sich schon auf Jazz-
Theater-Projekt Nr. 2 im Frühjahr 1989 freuen.

[Veröffentlicht am 20. Dezember 1988 in den „Thüringer Neuesten Nachrichten“, dem
Presseorgan der NDPD von 1951 bis 1990, zur Veranstaltung am 10.12.1989]

Junge Kunst in einer jungen Galerie: Gemälde von
Armin Müller
(m. n.) Die Galerie „intern“ erwartet Sie zum Besuch ihrer neuesten (der dritten)
Ausstellung! (Sicherlich wurde es noch nicht genügend publik gemacht, aber die
Galerie ist, obwohl im Wohnheim der Medizinischen Fachschule, Rathenaustraße 53,
befindlich, durchaus nicht nur den dort wohnenden Studenten zugänglich.) Mit der
am Mittwoch voriger Woche eröffneten Ausstellung von Gemälden Armin Müllers soll
das Konzept, besonders jungen Menschen zeitgenössische Kunst näherzubringen,
weitergeführt werden. Vor allem dieser Ausstellung, aber natürlich auch allen
folgenden, ist eine breite Publikumsresonanz zu wünschen, denn es wird wohl
vorläufig die letzte sein, die Armin Müller zusammengestellt hat.
Der 1928 geborene und seit 1962 in Weimar als freischaffender Schriftsteller und
Maler arbeitende Künstler bezeichnet sich selbst als naiven Maler, der lediglich
Freude bereiten will. Ganz ohne Zweifel gelingt ihm das mit seinen kleinformatigen
Bildern in ihrer herzerfrischenden Einfachheit und Natürlichkeit, die dabei jedoch
niemals künstlerische Meisterschaft vermissen lassen. Mancher, der sich als Künstler
bezeichnet, bemüht sich im Gegensatz zu dem Autodidakten Müller vergeblich um
eine derartige Ausstrahlungskraft. In Müllers Bildern findet sich nichts Akademisches,
wohl aber viel Humor, fröhliche Spielerei mit Lebewesen, Gegenständen und
Naturgesetzen und eine bei allem dennoch vorhandenen Realismus überraschende
Buntheit.
Bei einer früheren Vernissage Müllers in Weimar schrieb Erwin Strittmatter in das
Gästebuch: „Ich verneige mich vor Deinen poetischen Einfällen und vor dem Zauber
Deiner Farben.“ Muß dem noch etwas hinzugefügt werden? Vielleicht noch eine eher
Äußerlichkeiten betreffende Anregung: Sollte es nicht möglich sein, das Umfeld der
Galerie und mithin das der Studenten freundlicher zu gestalten? Noch erinnert der
Hof des Internats allzusehr an ein tristes Fabrikgelände, aber ganz sicher finden sich
für ein solches Projekt entsprechender Rückhalt und Initiativen bei Erziehern und
Studenten.

[Veröffentlicht am 21. Februar 1989 in den „Thüringer Neuesten Nachrichten“, dem
Presseorgan der NDPD von 1951 bis 1990, anläßlich der Ausstellungseröffnung am
15.2.1989]

Premiere im Puppentheater Waidspeicher: „Don Quijote“
– eine lebende Legende?
(m. n.) Die Tatsache, daß das Programmheft von orthographischen und
grammatikalischen Fehlern geradezu strotzt, läßt die Frage aufkommen, ob
Korrekturlesen etwa aus der Mode gekommen ist. Wenn Monika Bohne (Inhalt u.
Redaktion) zur Darstellung von Eindrücken bei den 1984er Aufführungen schon den
Aufsatz einer Schülerin der Abiturstufe verwendet, hätte sie sich wohl wenigstens
einer korrigierten Fassung bedienen können. Die offenbar nötige „Renessaince“ (so
das Programmheft!) der Sprache scheint hier noch nicht begonnen zu haben.
Die schon einmal zur Aufführung gelangte Inszenierung hat auch an der neuen
Spielstätte im Waidspeicher nichts von ihrer Wirkung eingebüßt, eher im Gegenteil.
Das Flair des neuen alten Hauses in seiner Kombination von mittelalterlicher
Bauweise mit moderner Gestaltung und Ausstattung tat das Seine dazu. Cervantes’
Geschichte des „wohlmeinenden, aber unpraktischen Phantasten“ Don Quijote de la
Mancha erfährt hier eine Interpretation, die ob ihrer Ungewöhnlichkeit und der
unschwer erkennbaren Bezüge zum Leben in der DDR von heute anzusprechen
vermag. Deutliche Anspielungen wie die Allgegenwart der gefürchteten
Geheimorganisation (der spanischen Inquisition1) oder Sancho Panzas Vermutung,
am herzoglichen Hof die Teilnehmer einer Staatsjagd2 zu erblicken, zeigen dies. Das
Premierenpublikum vom 14. Januar erkannte die Zusammenhänge wohl und verlieh
seiner Zustimmung mit wiederholtem Szenen- und langem Schlußapplaus Ausdruck.
Selbstverständlich vermag das Puppentheater ebensowenig die Welt zu verändern
wie jede andere Kunstform (oder etwa doch?), aber es kann wie der legendäre Ritter
„den Erkenntnisprozeß in der Gesellschaft“ (aus der Regiekonzeption) fördern. Mit
ihrem „Don Quijote“ von 1984/1989 werden die Erfurter Puppenspieler dieses Ziel
sicherlich erreichen können (vorausgesetzt, noch mehr Erwachsene lösen sich von
der Meinung, Puppentheater sei nur etwas für Kinder!).

1 bzw. des Staatssicherheitsdienstes
2 Erich Honecker & Gen. gingen zu gern auf die Jagd

[Unveröffentlichtes Manuskript aus dem Jahr 1989 für die „Thüringer Neuesten
Nachrichten“. Abdruck wegen allzu deutlicher politischer Anspielungen von der
Redaktion abgelehnt (Selbstzensur in vorauseilendem Gehorsam) – das Ende
meiner journalistischen Tätigkeit in der DDR, nicht lange vor meiner Flucht aus derselben]

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